Peter Handke
Kaspar
(eine Sprechfolterung)
mit
Lea Barletti und Werner Waas
Dauer 1h 30 (ohne Pause)
eine Produktion von Barletti/Waas
in Zusammenarbeit mit dem ItzBerlin e.V.
Mitarbeit: Iacopo Fulgi, Harald Wissler
Premiere: 16. September 2017 – Greizer Theaterherbst
Videolinks zur Aufführung:
Kaspar al Teatro Palladium, Roma 2021
Pressestimmen:
“Dieses Handkesche Versuchslabor ist voller politischer Brisanz, hoch aktuell. Die Gewalt des Textes samt seiner Radikalität geht unter die Haut. Es erschreckt, dass das, was vor gut fünfzig Jahren so brachial formuliert wurde, heute noch viel gnadenloser scheint. Der Zuschauer bleibt erschlagen zurück – und blickt mit Schaudern auf die Gegenwart. Die beiden Darsteller Waas und Barletti führen diese Abrichtung bestechend vor. Ihr Spiel ist unmissverständlich scharf, ohne auch nur im Ansatz theatrale Attitüden aufzuweisen.”
Peter Kees, Süddeutsche Zeitung Link: Kasparkritik Süddeutsche Zeitung
“Lea Barlettis ausdrucksstarkes Spiel in der Rolle des Kaspar Hauser sowie Werner Waas als an- und verleitender Gegenpart sind Beispiele für die Hohe Schule der Schauspielkunst./
L’interpretazione fortemente espressiva di Lea Barletti nel ruolo di Kaspar Hauser, così come Werner Waas nel ruolo di controparte che guida e depista, sono esempi di alta arte recitativa.”
(Karsten Schaarschmidt / 18.09.17 Ostthüringer Zeitung)
Aus Handkes Vorwort:
„Das Stück „Kaspar“ zeigt nicht, wie ES WIRKLICH IST oder WIRKLICH WAR mit Kaspar Hauser. Es zeigt, was MÖGLICH IST mit jemandem. Es zeigt, wie jemand durch Sprechen zum Sprechen gebracht werden kann. Das Stück könnte auch „Sprechfolterung“ heißen…“
Zur Inszenierung:
„Kann man einen Menschen durch Sprechen, durch eine „Sprechfolterung“ wie Handke es ausdrückt, zu einer Identität bringen, die „zufällig“ durch die gewählte Sprache und die ihr innewohnende Struktur bedingt wird? Am Anfang ist Kaspar eine Art autistisches Wesen mit einem unmittelbaren und grenzenlosem Bezug zu allem, was ihn umgibt. Am Ende ist Kaspar „in die Wirklichkeit übergeführt“ und weiß auch, was er dabei verloren hat.
Diese Geschichte ist uns allen gemeinsam, auf sie fußt alles, was man Bewußtsein nennt. Empfindungen und Worte passen nicht zusammen, man kann den Worten nicht trauen, man kann sich höchstens in Sätzen zurechtfinden, dem eigenen Mißtrauen nachspüren und entdecken, daß es immer weiter geht.
Lea Barletti und Werner Waas spielen dieses Spiel mit offenen Karten und lassen sich bei dieser „Folterung“ zusehen, die eigentlich ein Weg ins Ungewisse ist. Die Frage ist hier auch: Wer manipuliert hier wen? Wer braucht wen zum Überleben? Wer ist wer und vor allem, warum?
Am Ende sind wir alle gleich und viel näher beisammen als wir das so gemeinhin behaupten würden. Wir sind alle Kaspar – man muß sich nur die Zeit nehmen, genau hinzuhorchen.
Was bedeutet eigentlich dieser Satz: „Ich möcht’ ein solcher werden, wie einmal ein andrer gewesen ist.“? Kaspar ist nur unser Stellvertreter auf dieser abenteuerlichen Reise in die Wirklichkeit.“ Lea & Werner
Über uns:
– Wir arbeiten als Paar und als Künstler an Zwischenräumen.
– Uns interessiert ein Diskurs, der Welt erschafft, jene Welt, die entsteht zwischen zweien, wenn sie diskutieren, zwischen einem Schauspieler und einem Zuschauer, zwischen einem Schauspieler und einem anderen Schauspieler, zwischen Text und Aktion, zwischen Wort und Präsenz, zwischen Geste und Musik.
– Wir sind das zufällige Ich, das in sich die Welt erfährt, sich selbst als Abbild der anderen, als Teil eines Organismus, einer Landschaft.
– Uns interessiert nicht, von uns zu sprechen, uns interessiert durch uns hindurch von der Welt zu sprechen. Uns interessieren Texte, durch die dieser Diskurs möglich wird.
– Unsere Sprachlosigkeit, unser Scheitern, unser Mut und unsere Beharrlichkeit entspringen unserer Empathie mit der getretenen Welt.
– Uns interessiert nicht, besser zu sein, uns interessiert, verständlich zu sein, uns interessiert nicht, cool zu sein, uns interessiert, verletzbar zu sein, uns interessiert nicht, auf Distanz zu gehen, uns interessiert, die Dinge aus der Nähe zu betrachten.
– Wir suchen nach einer Möglichkeit des Ausdrucks, die nicht vorherbestimmt ist. Wir suchen nach einem Sagen, das nicht nur am wörtlichen Sinn kleben bleibt.
– Wir haben keine Wahrheit zu verkünden: wir haben nur zu sprechen, Wörter und Dinge zu hinterfragen, Empfindungen und Beziehungen einen Namen zu geben, einen Sinn zu suchen, einen Weg zu suchen, ein Zuhause zu suchen.
– Wir wechseln ständig zwischen Sprachen und Formen, weil wir einfach nicht zuhause sind, dort wo wir hineingeboren wurden und uns mit Selbstverständlichkeiten schwer tun.
Und hier Leas Urtext, der am Anfang stand:
Am Anfang war ich nur glucklig, weil ich hier in Berlin war. Ich hatte das schon lange getraumt, hier zu hause zu sein. Ich hatte die laeztze 5 Jahre in eine kleine Stadt in sud Italien gewohnt, ich brauchte nun frische Luft, neue Ideen, Impulse. Ich brauchte Kunst als luft. Da, in diese kleine Stadt waren ich und mein Partner die, die immer was gemacht haben, organiziert, ideen gehabt, Projekte auf die Beine gestellt und s.w. Ich brauchte endlich gefuttert zu sein, ich hatte diese Gefuhel alles erausgegeben zu haben was ich hatte.
Na dann: also Berlin, mit partner und Kinder… sind wir einfach umgezogen. Ich bin nicht gefluchtet, nein, ich habe Berlin bewusst gewaehlt. Mein partner war (ist er auch noch) deutsch, meine Kinder zweisprachig, also, ich habe keine Schwirickeiten gesehen. Und ich? Na ja, ich werde deutsch lernen und einen Weg finden fuer mein Arbeit. Aber. Aber, es ist doch nicht alles so einfach. Ich bin Schauspielerin, rein Theater-Prosa Schauspielerin. Also kein “Action theater” performerin, kein tanzerin, kein mime, nein. Ich bin einfach eine Sprache-Freak! Und Deutsch… oh mann, es ist eine verdammte schwierige Sprache! Auch nach 4 Jahren beherrsch ich die deutsche Sprache nicht so gut das ich einfach in irgendeine theaterproduktion auf Deutsch arbeiten koennte. Also…jetz habe ich ein Problem! Da ich nicht mein lebenlang Beruf aufgeben will, da ich nicht in eine “Reservat” fuer rein italienisch Publikum arbeiten will, muss ich neue Wege finden: Tanz, Koerpersprache, performativen Aktionen. Ich muss die Perspektive wechseln. Aber, vor alles, ich muss, als Mensch und Kunstler, ueber diese Tatsache reflektieren: ich bin jetz ein Auslaender. Deutschland ist nicht meine Heimat. Man kann lange spekulieren, ueber Europa, ueber “europeisch” zu sein, ueber was ueberhaubt das Wort “Heimat” bedeutet… Aber die Tatsache bleibt. Als Kunstler und ausgebildete Mensch, habe ich einfach immer gedacht, meine Heimat war die Welt. Das ist aber eine (schoene) Utopie. Wenn “zu Hause” zu sein (und zu fuehlen…) waere nur ein Anmeldungsbescheinugung (was fuer Worte die es gibt auf Deutsch!) zu haben, oder auf die Strassen an die Leuten Richtungen auf Deutsch zu fragen, oder auch an Partys auf Deutsch quatschen zu schaffen, also, ich koennte auch sagen ich bin hier zu Hause. Aber es stimmt nicht. Als Mensch mein “Zuhause” ist meine Muttersprache: da, in meine Muttersprache fuehle ich mir einheimisch, da kann ich meine Gedanken ausdrucken, ohne diese staendige Gefuhel: Ich war nicht genug Klar, ich wollte was andere sagen, die haben mich nicht wircklig capiert! Ohne immer die Meinungen, und Gedanken, und Reflektionen an die “basis” Niveau ausdrucken zu mussen! Und nun: als Schauspielerin ist das ein Kernproblem: man MUSS seine Gedanken und Gefuehlen mit Worten ausdrucken koennen! Nicht nur mit Worten, natuerlich, aber hauptsachlich, ins Theater geht um Worte: weder Texte von Autoren oder selbsterfunden oder improvisierte… sind sowieso Texte, also Worte, also Sprache!… Und wenn man diese “individuelles” Problem genau angkuckt: das ist ein univerelles Problem. Wir Menschen, wir haben diese Wundervolles komunication Mittel: Sprache. Aber, leider, kein Esperanto (auch, eine schoene Utopie gewesen). Also. Was ist ein Mensch ohne seine Sprache? Und, noch weiter, was ist ein Mensch ohne keine Sprache? Wie er denkt? Wie interpretiert er die Welt? Wie sind Gedanken und Sprache verbunden? Es ist nicht die Sprache die letzendlich gibt an Gedanken ihrer Form? Wenn so ist, mein “Denken-Modus” muss anders sein von der von ein muttersprachliger Deutsch. Was heisst dann “integration”, in diese Perspektive? Also Ich denke das diese sind frage mit wem man, als Kunsler handeln soll. Also mein subjektives “Problem,” wird das Kern ueber eine Reflektion rund um ein universelles und sehr pregnant und aktuelles (besonders in eine multikulturelles Stadt als Berlin), “Problem”, oder Tatsache, oder Stand. Nun. Ich war mit diese gedanken beschaeftig, und am denken, also, ich sollte ein Text schreiben ueber das “ohne Sprache zu sein”, ueber was heisst “Integration”, wo faengt es an, es ist ueberhaupt es moeglich oder doch noch eine “Utopie”, oder sogar eine nette und moderne Version von “Koloniesirung”, und so weiter und sofort, dann kommt mein lebens-und-arbeit-Partner (er ist deutsch, wie gesagt) mit ein Peter Handke (wir haben schon ein Stuck von Peter Handke inszeniert, aber zweisprachig, ich habe auf Italienisch gespielt und Werner auf Deutsch) Text in die Hand, und sagt: Das Stueck ist perfekt fuer dich, aber dieses mal muss du auf Deutsch spielen! -Auf deutsch-, sage ich, terroriesiert, – ein Peter-handke-stueck auf Deutsch! Ich werde nie und niemals es schaffen! – Wir Haben dann das Text gelesen… Ich habe am ende sofort gesagt: Oh, je da hast du recht! Es ist perfekt: es handelt ganz genau von was ich meine: von Sprache, von Verbindung zwitschen Sprache und Gedanken, zwistschen Gedanken und Welt, es handelt um Gesellschafftsfaeig zu sein und zu werden, um Sozialesintegration… es ist doch ein Einfuehrung in die deutsche Sprache und deutsche Kultur!
Also gebombt: wir werden dieses Text von Peter Handke benutzen als “Integration-Crash-Kurs”! Wir werden eine theatralisch/sprachlich/ kulturelles Experiment auf die Buhene zeigen. Wir werden ein Mensch der ohne Sprache aufgewachsen ist zu Sprache bringen. Wir werden ein Mensch der nicht “gesellschaftfaig” ist in eine perfeke, integrierte, deutsch Burger verwandeln! Dieses Mensch, der bin ich.